Print liegt im Sterben. Zumindest das dazugehörige Geschäftsmodell traditioneller Zeitungsverlage. Ab und zu bäumt es sich noch auf. Aber eher früher als später braucht dieses Geschäftsmodell einfühlsame Sterbebegleitung.
Ich habe mich in den vergangenen Tagen immer wieder an einen Vortrag der großartigen Stella Schaller von Reinventing Society erinnert. Anfang des Jahres hatte ich Stella eingeladen, mich bei einem Workshop für das Netzwerk Klimajournalismus zu unterstützen. Es ging um Transformationsprozesse. Bei dieser Gelegenheit hatte Stella eine Variante des Two-Loops-Modells gezeigt, die mir so noch nicht begegnet war. Vermutlich hatte ich mich bis dahin auch einfach zu wenig damit befasst. Auf jeden Fall war der Vortrag für mich ein Augenöffner. Bis heute muss ich immer wieder daran denken. Vor allem wenn ich Texte lese, die im weitesten Sinne von den Tranformationsbemühungen regionaler Tageszeitungsverlage handeln. Zuletzt z.B. bei der Lektüre des Textes **„Transformation Endgame – sind Sie Gewinner oder Verlierer”** von Dr. Christoph Mayer.
In meinem Notizbuch habe ich damals nach Stellas Vortrag unbeholfenen versucht, das Two-Loops-Modell zu skizzieren (siehe unten). Viel bessere Darstellungen gibt es zum Beispiel hier.
Im Grunde beschreibt das Modell, dass Wandel in dem Moment beginnt, in dem ein System seinen Höhepunkt erreicht. Schon zu diesem Zeitpunkt entstehen die ersten Keimzellen eines neuen Systems. Für mich ein echtes Aha-Erlebnis des Vortrags war aber die Beschriftung des oberen Loops. „Exnovationen” und „Hospiz”. Sinngemäß sagte Stella damals, ein altes System braucht Sterbebegleiter. Es muss so abgewickelt werden, dass es in Frieden sterben darf. Dafür braucht es gezielte Exnovationen und Hospizarbeiter. Das Beispiel war damals die Kohle- und Bergbauindustrie. Ich musste sofort an die Zeitungsbranche denken. Und an meine Arbeit der vergangenen Jahre.
Ich war Teil eines Innvoations-Teams in einem großen Medienhaus. Natürlich habe ich mich als Pionier verstanden. Als Wegbereiter. War ich aber nicht. Konnte ich gar nicht sein. Weil für Innovation noch gar kein Platz war. Was dieses Modell nämlich auch zeigt, und was seit Clayton M. Christensen ja schon beinnahe Allgemeinwissen ist 😉: Echte Innovation und Disruption kommt in der Regel nicht aus dem bestehenden System.
Womöglich haben wir als Innovationsteam also eigentlich an Exnovationen für das alte System gearbeitet. Bzw. wir hätten es zielgerichtet tun können, wenn wir und alle anderen Beteiligten nicht gedacht hätten, wir wären ein Innovationsteam …🤯
Vermutlich ist das ein grundlegendes Missverständnis im Rahmen der Transformationsbemühungen vieler Medienhäuser. Das Augenmerk liegt zu sehr auf (womöglich kaum zu stemmenden) Innovationen und zu wenig auf Exnovationen. Dabei bräuchte es mehr Exnovationsteams als Innovationsteams. Teams, die dem alten System, dem Print-Geschäftsmodell, helfen ein geordnetes Ende zu finden, sodass Innovationen in der Übergangsphase genügend Raum und Licht zum Keimen bekommen.
Es gibt übrigens noch schöne Darstellungen des Two-Loops-Modells, bei denen der obere Loop direkt in den “Kompost” führt. Da, wo bei meiner Skizze das Oval ist. Das finde ich absolut treffend. Bei einer gelungenen Transformation sorgt das tote System am Ende nämlich für einen ausgezeichneten Nährboden, auf dem das neue System wachsen und gedeihen kann.
Ich bin zuversichtlich, dass es vielen regionalen Medienhäusern gelingen wird, diesen Nährboden zu schaffen. Vorausgesetzt, sie starten schnell genug einen ernsthaften Transformationsprozess.
Ich bin gespannt auf Eure Meinung.
PS. Dass das neue System nicht im alten System entsteht, lässt sich gerade sehr schön beobachten an journalistischen Start-ups wie Karla, wirklich von Simone Lange, yonu von Alexander Plitsch, den Eimsbüttler Nachrichten oder table.media. Dazu passt auch der Text von Table-Gründer Sebastian Turner im Spiegel.
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